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Silikonchemie

Die Chemie der Perfektion: Ein tiefgreifender Blick auf RTV-2 Silikone

RTV-2 Silikone, kurz für "Room Temperature Vulcanizing, 2-Komponenten", sind eine Klasse von Hochleistungselastomeren, die sich durch ihre Fähigkeit auszeichnen, bei Raumtemperatur auszuhärten. Ihre einzigartigen Eigenschaften und die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten machen sie in zahlreichen Industrien – vom Formenbau über die Elektronikverguss bis hin zu medizinischen Anwendungen – unverzichtbar. Das Verständnis der zugrunde liegenden Silikonchemie ist der Schlüssel, um die Leistungsfähigkeit dieser Materialien voll ausschöpfen und mögliche Verarbeitungsprobleme vermeiden zu können.

Die chemische Basis: Polysiloxane und ihre Vernetzung

Im Kern bestehen RTV-2 Silikone aus Polysiloxanen, Polymeren, die eine Silizium-Sauerstoff-Hauptkette (Si-O-Si) aufweisen. Diese anorganische Kette ist der Hauptgrund für die herausragende thermische und chemische Stabilität von Silikonen im Vergleich zu organischen Polymeren, die auf einer Kohlenstoff-Kette basieren. An die Siliziumatome sind organische Seitenketten wie Methyl-, Phenyl- oder Vinylgruppen gebunden. Die Art und Anzahl dieser Seitenketten bestimmen maßgeblich die physikalischen Eigenschaften des unausgehärteten Polymers und des späteren Elastomers.

Die Aushärtung eines RTV-2 Silikons erfolgt durch eine chemische Reaktion zwischen zwei Komponenten (A und B), die vor der Anwendung gemischt werden. Je nach Aushärtungsmechanismus unterscheidet man primär zwei Haupttypen von RTV-2 Silikonen:

  1. Kondensationsvernetzende RTV-2 Silikone (Zinn- oder Titan-katalysiert):

    Bei diesem System reagieren Silanolgruppen (Si-OH) der Polymerketten miteinander oder mit Silanen, wobei kleine Moleküle wie Alkohole (z.B. Ethanol) oder Essigsäure als Nebenprodukte freigesetzt werden. Die Aushärtung wird typischerweise durch Zinnverbindungen (Dibutylzinndilaurat, Dioctylzinndilaurat) oder Titanate katalysiert.

      • Vorteile: Gute mechanische Eigenschaften, vergleichsweise unempfindlich gegenüber Hemmungen, gute Langzeitstabilität bei einigen Systemen.
      • Nachteile: Schrumpfung aufgrund des Ausstoßes von Nebenprodukten, weniger präzise Dimensionsstabilität, möglicherweise geruchsbildend während der Aushärtung. Die Freisetzung von Zinnverbindungen kann in bestimmten Anwendungen ein Problem darstellen.

  2. Additionsvernetzende RTV-2 Silikone (Platin-katalysiert):
    Dieses System basiert auf einer Additionsreaktion (Hydrosilylierung) zwischen Vinylgruppen, die an den Polysiloxanketten vorhanden sind, und Si-H-Gruppen (Hydrid-Siloxanen) in Anwesenheit eines Platinkatalysators. Es werden keine Nebenprodukte freigesetzt.
    • Vorteile: Sehr geringe Schrumpfung (nahezu schrumpfungsfrei), hohe Präzision und Dimensionsstabilität, sehr gute mechanische Eigenschaften, hohe Reinheit, keine Geruchsbildung, schneller und kontrollierbarer Aushärtungsprozess.
    • Nachteile: Sehr empfindlich gegenüber bestimmten Inhibitoren (Hemmstoffen), tendenziell teurer als kondensationsvernetzende Systeme.

Chemische und mechanische Eigenschaften von RTV-2 Silikonen:

Unabhängig vom Vernetzungstyp teilen RTV-2 Silikone eine Reihe von herausragenden Eigenschaften, die sie für anspruchsvolle Anwendungen prädestinieren:

  • Temperaturbeständigkeit: Silikone sind bekannt für ihre extrem breite Betriebstemperaturspanne, typischerweise von -50°C bis +200°C, wobei spezielle Formulierungen noch höhere oder tiefere Temperaturen vertragen können. Dies liegt an der hohen Bindungsenergie der Si-O-Bindung und der Flexibilität der Polymerkette.
  • Flexibilität und Elastizität: Die Si-O-Si-Kette ist hochflexibel, was den Silikonen ihre gummiartige Elastizität verleiht. Sie behalten ihre Flexibilität auch bei extremen Temperaturen bei und können hohen Dehnungen ohne bleibende Verformung standhalten.
  • Chemische Beständigkeit: Silikone sind resistent gegenüber einer Vielzahl von Chemikalien, einschließlich vieler Säuren, Basen, Öle und Lösungsmittel. Dies macht sie ideal für den Einsatz in rauen Umgebungen.
  • UV- und Witterungsbeständigkeit: Sie zeigen eine ausgezeichnete Beständigkeit gegenüber UV-Strahlung, Ozon und Witterungseinflüssen, was sie ideal für Außenanwendungen macht. Sie verspröden oder vergilben nicht wie viele organische Polymere.
  • Elektrische Isolationseigenschaften: Silikone sind hervorragende elektrische Isolatoren und werden häufig zum Verguss und Schutz elektronischer Bauteile eingesetzt.
  • Hydrophobie und Antihaftwirkung: Die Methylgruppen auf der Oberfläche verleihen Silikonen eine wasserabweisende (hydrophobe) Oberfläche und gute Antihafteigenschaften.
  • Biokompatibilität (bei speziellen Typen): Einige Silikonformulierungen sind biokompatibel und finden Anwendung in der Medizintechnik für Implantate und medizinische Geräte.

Hemmung der Vernetzung bei RTV-2 Silikonen

Besonders bei additionsvernetzenden (Platin-katalysierten) RTV-2 Silikonen ist das Phänomen der Hemmung der Vernetzung von kritischer Bedeutung. Hemmstoffe sind Substanzen, die den Platinkatalysator "vergiften" oder die Additionsreaktion stören, was zu einer unvollständigen Aushärtung oder sogar einem kompletten Nicht-Aushärten der Silikonmischung führt. Bei kondensationsvernetzenden Systemen ist die Hemmung weniger verbreitet, kann aber durch extreme Feuchtigkeit oder saure/basische Verunreinigungen auftreten.

Typische Hemmstoffe für Platin-katalysierte RTV-2 Silikone sind:

  • Schwefelhaltige Materialien: Die häufigste Ursache für Hemmungen. Dazu gehören Latex, einige Gummitypen (z.B. vulkanisiertes Gummi), schwefelhaltige Knete (Modellierknete auf Schwefelbasis), einige Farben und Lacke, sowie auch einige Arten von Holz (z.B. Eiche, Kiefer).
  • Stickstoffhaltige Materialien: Aminoverbindungen können ebenfalls den Platinkatalysator deaktivieren. Dazu zählen bestimmte Typen von Aminharzen, einige Klebstoffe und organische Farbstoffe.
  • Zinnverbindungen: Auch wenn sie als Katalysatoren in kondensationsvernetzenden Systemen dienen, können Zinnverbindungen (insbesondere organische Zinnverbindungen) als Inhibitoren für Platin-katalysierte Systeme wirken. Dies ist ein wichtiger Punkt beim Wechsel zwischen den Silikontypen oder der Verwendung von Formen, die zuvor mit Zinn-Silikonen in Kontakt kamen.
  • Unvollständig ausgehärtete Silikone: Wenn eine Oberfläche bereits mit einem anderen Silikon (insbesondere einem additionsvernetzenden) in Kontakt war und dieses nicht vollständig ausgehärtet ist, können freie Katalysatorspuren oder unvollständig reagierte Spezies eine erneute Hemmung verursachen.
  • PVC-basierte Materialien: Bestimmte PVC-Arten, insbesondere solche mit Weichmachern, können ebenfalls eine Hemmung verursachen.
  • Bestimmte Metalle: Obwohl seltener, können auch einige Metalle wie Kupfer, Zinn und Messing unter bestimmten Bedingungen eine hemmende Wirkung zeigen, insbesondere wenn sie oxidiert sind.
  • Feuchtigkeit und Temperatur: Extreme Feuchtigkeit oder zu niedrige/hohe Temperaturen während des Mischens oder Aushärtens können die Reaktion ebenfalls negativ beeinflussen, auch wenn dies streng genommen keine "Hemmung" im chemischen Sinne ist, sondern eine Störung der Reaktionskinetik.

Um Hemmungen zu vermeiden, ist es ratsam, einen kleinen Vorabtest mit der Oberfläche oder dem Material durchzuführen, das in Kontakt mit dem Silikon kommen wird. Eine gründliche Reinigung der Oberflächen ist ebenfalls unerlässlich.

Die Shore-Härten: Maß für die Härte des Silikons

Die Härte von Silikonen wird typischerweise mit der Shore-Härte-Skala gemessen. Für Elastomere wie Silikone sind die Skalen Shore A (für weichere Materialien) und Shore D (für härtere Materialien) am relevantesten. Ein höherer Shore-Wert auf der jeweiligen Skala bedeutet ein härteres Material.

  • Shore A: Diese Skala reicht von 0 (extrem weich, gelartig) bis 100 (sehr hart, gummiartig). Die meisten RTV-2 Silikone für den Formenbau liegen im Bereich von Shore A 10 bis Shore A 60.
    • Shore A 10-12: Sehr weiche, flexible Silikone, ideal für detailreiche Abformungen mit Hinterschneidungen und für das Gießen von Materialien, die eine geringe Entformungskraft erfordern (z.B. Wachs, Gips).
    • Shore A 13-39: Mittlere Härte, guter Kompromiss aus Flexibilität und Robustheit. Vielseitig einsetzbar für die meisten Gießanwendungen, auch für Harze und Betone.
    • Shore A 40-60: Härtere Silikone, bieten hohe Reißfestigkeit und Abriebbeständigkeit. Geeignet für Formen, die starken Belastungen ausgesetzt sind oder für das Gießen von abrasiven Materialien.
  • Shore D: Diese Skala wird für härtere Kunststoffe und Elastomere verwendet, die im Shore A-Bereich 90 oder darüber liegen. Einige sehr harte Silikone können in den unteren Shore D-Bereich fallen.

Die Wahl der richtigen Shore-Härte hängt direkt von der Anwendung ab:

  • Komplexität des Originals/Modells: Modelle mit vielen Hinterschneidungen erfordern weichere Silikone, um eine einfache und beschädigungsfreie Entformung zu gewährleisten.
  • Gießmaterial: Leichte Gießmaterialien wie Wachs oder Gips benötigen keine hohe Härte der Form. Abrasive Materialien wie Beton oder spezielle Harze erfordern härtere und verschleißfestere Silikone.
  • Anzahl der Abgüsse: Für eine hohe Anzahl von Abgüssen sind tendenziell härtere und abriebfestere Silikone mit höherer Reißfestigkeit vorteilhaft.
  • Mechanische Beanspruchung der Form: Formen, die stark gedehnt, gebogen oder gestaucht werden, profitieren von Silikonen mit höherer Flexibilität.